3 Monate auf 4 Rädern

Flo ist zurück – und wir haben ihn direkt über sein Kurzsabbatical ausgequetscht. Herausgekommen ist dieses illustre Interview mitsamt spannender Leseempfehlungen in Sachen Kreativität.

Ein weißer VW-Bus mit offener Schiebetür vor einer malerischen Meereskulisse.

Wie und wann kamst du auf die Idee?

Das Vorhaben schwirrte schon vor meiner Zeit bei visuellverstehen in meinem Kopf herum. Die Gründe dafür waren vielfältig: schlichte Reiselust, einen längeren Zeitraum auf kleinstem Raum leben, eine bestimmte Flora und Fauna intensiver erkunden, Routinen hinterfragen, neue Dinge ausprobieren. Wobei man meiner Meinung nach für viele dieser Dinge nicht zwangsläufig ein Vierteljahr reisen muss.

Den Wunsch sprach ich dann erstmals 2016 in einem unserer regelmäßig stattfindenden 6-Augen-Gesprächen an. Es gab also genug Vorlaufzeit, um meine Abwesenheit zu planen.

Was musste alles im Vorfeld bedacht werden?

Einer der wichtigsten Punkte war sicherlich: Wie kann meine Abwesenheit für alle Beteiligten am besten kompensiert werden, sodass weder Kolleg*innen in zu viel Arbeit versinken, noch Kund*innen vernachlässigt werden? Dies ist uns durch rechtzeitige Ankündigungen und Absprachen sowie geordnete Übergaben gut gelungen.

Außerdem mussten wir gemeinsam abstimmen, wie mein Angestelltenverhältnis in dieser Zeit aussehen sollte. Wir schauten uns die verschiedenen Optionen an und verständigten uns auf ein Arbeitszeitkonto. Ich verzichtete also eine gewisse Zeit auf einen Teil meines Gehalts, welcher mir dann während der drei Monate zu je drei gleichen Teilen ausgezahlt wurde. Eine super Variante für beide Seiten.

Ansonsten musste ich mich natürlich noch um Dinge wie Auslandsreisekrankenversicherung, Nachsendeauftrag, Pflanzensitter usw. kümmern – da kam letztlich doch einiges zusammen.

Wie lautete eure Reiseroute?

Da unser Reisezeitraum (Januar–März) aus unterschiedlichen Gründen genau vorgegeben war, entschieden wir uns für die zu dieser Zeit vielleicht einzig konstant warme Region Europas: die Kanarischen Inseln. Dort sollte es ohne Standheizung auch nachts angenehm warm in unserem Bulli sein. Außerdem wollten wir unbedingt Surfen lernen.

10.000 km über Land und Wasser

Von Südspanien setzten wir auf einer 49-stündigen Fahrt mit einer Autofähre nach Teneriffa über. Dort blieben wir dann circa einen Monat, ehe es nach La Palma ging. Auf dieser wunderschönen Insel verbrachten wir ebenfalls knapp 4 Wochen, bis wir unser letztes Reiseziel ansteuerten: Lanzarote mit seiner teils surrealen Landschaft.

Eine malerische Landschaft mit Bergen und Meer im Hintergrund bei strahlendem Sonnenschein.
Ausblick vom Anaga-Gebirge auf die Ostküste Teneriffas.

Und dann hieß es: ein Vierteljahr auf 6 m²?

Ganz genau. Und das lief sogar noch besser als erwartet. Ich war bereits vor der Reise davon überzeugt, dass man mit wenigen Gegenständen und deutlich weniger Platz als gewohnt sehr gut auskommen kann. So ging es mir auch schon auf anderen Reisen und verstärkt im Alltag. Trotzdem hat sich diese Einstellung definitiv weiter verstärkt. Außerdem entscheidet man ja auch selbst, wie groß sich etwas für einen selbst anfühlt – und mir haben Platz und Equipment auf jeden Fall gereicht.

Perspektivübernahme und Teamwork

Insbesondere auf so engen Raum ist es wichtig, sich gut abzustimmen, aufmerksam zu sein, einander zuzuhören und sich gegenseitig ausreichend Freiraum zu geben – aber das sollte man nicht nur während einer Reise oder auf 6 m² Wohnfläche so handhaben.

Der Blick aus dem Inneren des VW-Busses hinaus, dahinter Strand und blauer Himmel.
Gefrühstückt wurde meist mit Blick auf den Atlantik.
Der Blick aus dem Inneren des VW-Busses durch die Heckklappe hinaus, dahinter Strand, Meer und ein großer Dampfer.
Die erste Handlung am Morgen: Heckklappe auf und den Ausblick genießen.

Was habt ihr die meiste Zeit gemacht?

Wir haben uns mit unterschiedlichen Themen beschäftigt, die wir beide schon länger auf unseren Agenden hatten, z. B. freies Schreiben, Meditation oder Morgenroutinen entwickeln bzw. verfeinern. Dies haben wir vor allem über Lesen, Schreiben, Austausch untereinander sowie, wenn möglich, direktes Umsetzen in die Praxis getan, je nachdem.

Ansonsten waren wir konstant in der Natur und eher weniger in Städten. Diese wahnsinnig abwechslungsreichen Landschaften mit ihren teils nur auf den Kanaren vorkommenden Pflanzen und Tieren mussten wir einfach ausgiebig bestaunen. Aber auch architektonisch wird einem einiges geboten.

Eine ansprechende Landschaft mit Meer im Vordergrund und schroffen Felsen im Hintergrund, die Sonne scheint.
Die spektakuläre Küste im Nordwesten Teneriffas.
Ein Wegweiser, auf dem Chinamada steht, vor grün bewachsenen Bergen.
Die Wanderung zum Höhlendorf Chinamada ist mindestens so beeindruckend wie das Ziel selbst.

Kannst du etwas aus deiner Reisebibliothek empfehlen?

Uh, das ist schwer, da waren sehr viele sehr gute Bücher dabei. Zum Ende der Reise habe ich mich ganz bewusst mit dem Thema bzw. dem Begriff Kreativität auseinandergesetzt. Zwei Bücher haben mein Verständnis und meine zukünftige Arbeitsweise hierbei nachhaltig beeinflusst, die müssen sicher auch Einzug in unsere Bibliothek hier bei visuellverstehen finden.

Der kreative Akt

Zum einen „The Courage to Create“ von Rollo May. Das Buch des amerikanischen Psychologen ist zwar schon 1994 erschienen, hat aber nichts an Aktualität eingebüßt. May zeigt auf, was während eines kreativen Prozesses in einer Person vorgeht und was für den Prozess selbst kennzeichnend sein kann. Zentrale Rollen nehmen hierbei die Begriffe „Mut“, „Auseinandersetzung mit der Umwelt“ und „das Unterbewusstsein“ ein.

Kreativität am Arbeitsplatz

Zum anderen „Nimble: Thinking Creatively in the Digital Age“ von Robin Landa. Fast eine Art Handreichung mit spannenden Anstößen und interessanten Interviews. In vielen Aussagen habe ich unsere Kultur und unser Arbeitsverständnis wiedererkannt, trotzdem konnte ich auch viele neue Impulse mitnehmen.

Ein Auszug aus dem Vorwort beschreibt den Inhalt sehr treffend: „[…] nimble thinkers: people who are not only content experts but who also are agile in adapting to new technology and new directions in their fields. With rapid technological changes and globalization, the ability to think creatively and strategically is crucial. These nimble thinkers not only keep up, but they also better serve people by sharpening their thinking.“

Zwei Bücher, die visuellverstehen-Mitarbeiter Flo während seines Kurzsabbaticals las, liegen auf einem dunkelgrünen Tisch.
Insbesondere »The Courage to Create« ist das mehrmalige Lesen deutlich anzusehen.

Und nun ist dein Akku wieder aufgeladen?

Ich bin auf jeden Fall sehr erholt und habe viel für meine persönliche Entwicklung getan. Aber das Bild des von einer längeren Auszeit aufgeladenen Akkus finde ich nicht immer zutreffend, da schwingt doch öfter mal ein wenig Kitsch mit.

Das soll nicht falsch rüberkommen: Ich bin sehr, sehr dankbar für die Reise. Es war eine schöne, intensive Zeit und ein tolles Erlebnis, das definitiv auch wichtige Ruhephasen enthielt.

Aber um ›den eigenen Akku‹ aufzuladen, sollte man nicht pauschal eine lange Auszeit anstreben. Übrigens ist diese Formulierung meiner Meinung nach auch etwas komisch, weil ein Akku doch am längsten halten soll, wenn er stets zwischen 20 und 80 % Ladekapazität hat oder? Das würde der gängigen Formulierung des aufgeladenen Akkus jedenfalls widersprechen.

Wie auch immer: Vielleicht kann man während so einer Zeit leichter „aufladen“, vielleicht geht das aber eben auch nicht jedem so. Worauf ich hinaus will, ist, dass Metaphern wie die des „aufgeladenen Akkus“ oder „der Zeit auf Abstand“, die automatisch alle zuhause gelassenen Probleme lösen würden, nicht der Realität entsprechen müssen.

Auf sich hören und Verantwortung übernehmen

Jeder von uns sollte jederzeit schauen, wie es ihm gerade geht, warum es ihm derzeit so geht und ob es einem damit gut geht. Aber auch, was man sich wünscht, welche Ziele man hat und was man tun muss, um derjenige zu sein, der man sein will. Und dafür sollte jeder Verantwortung übernehmen und gegebenenfalls Dinge ansprechen, angehen oder umsetzen, damit zum Beispiel der Akku nicht so leer wird.

Mir persönlich hat diese längere Reise bei der Auseinandersetzung mit einigen dieser Punkte auf jeden Fall sehr geholfen. Ich habe das Gefühl, dass ich noch bewusster und auch konsequenter geworden bin.

Ein Strand, im Vordergrund braungebrannte Beine und der gelbe Bannerbeutel von visuellverstehen.
Auch am Strand von Famara macht unser Bannerbeutel eine gute Figur.
visuellverstehen-Mitarbeiter Flo während seines Kurzsabbaticals: Er kocht vorm VW-Bus.
Pop-up Küche unter der Heckklappe – funktioniert eins-a.

Inwiefern profitiert visuellverstehen von deiner temporären Abwesenheit?

Erst mal ist natürlich mein Akku wieder aufgeladen. Nein, Quatsch.

Ich bin der Meinung, dass Entfernung auch Nähe erzeugen kann: Ich weiß nun noch mehr zu schätzen, was ich an meinen Kolleg*innen und dem Unternehmen habe – beide haben mir letztlich dabei geholfen, die Reise umsetzen zu können. Deshalb freue ich mich auch, wieder hier zu sein und gemeinsam unseren Weg weiterzugehen.

Zeit, sich Zeit zu nehmen

Außerdem habe ich mich mit vielen Themen intensiver als im Alltag beschäftigt, was sich meiner Meinung nach sehr positiv auf meine Person ausgewirkt hat. Auch insofern, als ich eben genau so etwas zukünftig nicht nur während längerer oder kürzerer Reisen, sondern gerade auch im Alltag machen werde.

Und letztlich denke ich, dass Reisen einfach den eigenen Horizont erweitern und sowohl das Bewusstsein als auch das Gespür für größere Zusammenhänge verfeinern können. Davon kann nur jeder profitieren, ob Arbeitnehmer*in oder Arbeitgeber*in.

Ein surreal anmutender Kaktusgarten auf Lanzarote.
César Manriques einmaliger »Jardín de Cactus« auf Lanzarote.
Ein Blick in die Straßen von La Palma, mit bunten Fassaden und Holzbalkonen.
Typisch für La Palma: bunte Fassaden und aufwendig gestaltete Holzbalkone.

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